Eine mongolische Adventsgeschichte - Teil 4 | Open Hearts for Mongolia

Eine mongolische Adventsgeschichte – Teil 4

Wir erzählen euch hier eine mongolische Adventsgeschichte. Sie ist eigentlich unglaublich, aber selbsterlebt von Galsan Tschinag. Die Geschichte handelt von einem König und seinem Sohn, hier Häuptling und Häuptlingssohn genannt, Schätzen aus Gold und Edelsteinen, feinem Wachholderrauch und einem kleinen Volk hoch im Altai.

Lesen Sie Teil 1, Teil 2 und Teil 3 der Geschichte

Wir erinnern uns, dass die Schamanin in der Jurte sitzend mit ihren Orakelsteinen versuchte den Dieb aufzuspüren. Sie kehrte die ausgeworfenen Orakelsteine wieder zusammen, teilt sie hierhin und dorthin und haucht auf einmal mit einem mehr angewiderten als erfreuten Ton halblaut immer noch in Trance heraus: „Paaj, schon wieder du, o du armseliges Ungeziefer in Menschengestalt, ach, Montagsdonnerkeilchen* krepier und befrei doch den Lebensraum unter Menschen endlich von dir, du Scheusal!“ (* Der Name musste geändert werden, damit jenes arme Wesen nicht gleich entblösst dastehe, falls jemand aus der Leserschaft dieses Berichts am Ort des Geschehnisses vorbeikommt.)

Der Genannte ist ein Wohlbekannter. Ein Eingeheirateter in die Sippe. Einer, der so manche Male kleinere und größere Unterstützung von der Galsan Familie und auch direkt aus Galsan’s Hand hatte empfangen dürfen. Denn seine Lage ist wirklich jämmerlich. Woran er die Hauptschuld trägt, weil er trinkt, wie so manche anderen auch. Und aus dem Grund stellt er innerhalb der ganzen Verwandtschaft seiner Schwäger jenes berüchtigte schwarze Schaf dar. Bei all dem hat er auch seine guten Eigenschaften, die geschätzt werden. Wenn er nicht gerade getrunken hat, ist er ein ausgezeichneter Arbeiter – daher wohl warten die körperlich schwersten und schmutzigsten Aufgaben ständig auf ihn, und er fügt sich ihnen mucksmäuschenstill und erledigt alles musterschülermässig gewissenhaft. Und er ist nie, auch wenn er schon wieder getrunken hat, weder streit- noch angriffslustig geworden wie so viele aus der Horde von Alkoholisierten. Aus diesen beiden Gründen hat Galsan im Stillen sich gegen die allzu Harten in der eigenen Sippe stemmend, für den armen Eingeheirateten Partei ergriffen.

All dies erfährt Galsan von Galtai über Telefon und er wiederum bekam alles haargenau von seiner Frau erzählt, die noch im Altai weilt und auf weitere Anweisungen von Galsan wartet.

Galsan erteilt folgenden Auftrag: Zoloo soll die grösste Flasche von der im Ort bekanntesten und teuersten Wodkasorte kaufen, samt einigen beeindruckenden Begleitwaren, wie Kekse und Waffeln in möglichst grellen Verpackungen; dann auf einem weissen, seidenen Hadak (Gebetsschal) 100 000 Tugrik (ca. 30 CHF) möglichst in kleineren und neueren Scheinen platzieren und du dem Besagten sagen: Verehrter großer Bruder! Ich komme aus der fernen Hauptstadt mit einem Auftrag zu eurer Jurte. Mein Schwiegervater und das Oberhaupt eures Stammes hat mich zu Euch geschickt mit folgenden Worten: Hör mir zu, mein lieber Junge. Deine Mutter Galbak und ich sind nicht nur im gleichen Jahr zur Welt, sondern auch im gleichen Jahr und am gleichen Tag zur Schule gekommen und durften vier Jahre lang nebeneinander die Schulbank drücken. Wohl daher, du wirst es selber auch bezeugen, verhielt ich mich zu dir ständig lieb und verständnisvoll. Nun, Junge, ebenso wirst es bezeugen können, dass neulich hier eine Schnupftabakflasche abhandengekommen ist. Und sie gehörte mir. Sie ist aus einem recht einfachen Gestein, wird daher auf dem Markt auch nicht viel gelten. Doch für mich hat sie einen sehr grossen Wert, weil sie der Wohnort von den drei wildesten meiner zehntausend Hilfsgeister ist. Jene drei gehorchen nur mir, während sie einem anderen, würde dieser es wagen, sie zu wecken, grosse Schäden zufügen könnten. Ich weiß, dass du den genauen Ort kennst, wo meine Flasche in diesem Augenblick aufbewahrt liegt. Nimm bitte die Gaben des alten Mannes, der ich bin, an und helfe mir im Gegenzug dabei, dass ich zu meinem heiligen Eigentum komme! Wobei ich dir verspreche, dass das, was hier und heute geschieht, nur unter uns bleiben wird!

Schwiegertochter Zoloo folgte der Regie von Galsan gewissenhaft genau, mit dem Endergebnis: Sie bekommt den gesuchten Schatz schneller als gedacht ausgehändigt!

Zur Verdeutlichung jener dritten Höllenfahrt unseres kleinen Wunderwesens sei noch folgendes hinzugefügt. Der trotz allem gutartig gebliebene Säufer und Dieb musste sich erst zwei große Schlucke aus der Flasche genehmigen, um deren Spenderin zum augenblicklichen Standort des Diebesgutes zu führen. Das war eine Jurte aus der nächsten Nachbarschaft hinter ein paar hundert Metern. Die Beiden aus nah und fern finden drinnen das Familienoberhaupt allein. Kaum war der Pflichtgruss ausgetauscht, gibt unser Mann das Ziel seines Besuchs schon bekannt: „Ich will die Schnupftabakflasche von neulich sofort wieder zurückhaben!“

Worauf der andere sichtbar einen Heidenschreck bekam und ohne ein Wort die Jurte verliess. Die zwei, zurückgeblieben in der fremden, menschenleeren Jurte, standen eine kleine Weile ratlos da und setzten sich dann hin, in der Hoffnung, es müsste doch jemand kommen. Kurz darauf trat die Frau der Jurte herein, mit einem deutlich bestürzten Gesicht. Nun trat auch der Mann herein und es kam zu einem halblauten Wortaustausch zwischen den Eheleuten. Die Frau ging am Bettende in die Hocke und fuhr mit einem Arm tief in den Hohlraum hinein und zog schliesslich einen von der Zeit verdunkelten, ellenlangen und ebenso breiten Holzkasten heraus. Dann wurde der Deckel zurückgeschoben, sodass einiges zum Vorschein kommt: Nähzeug neben Nähzeug, Stofffetzen über Stofffetzen… und dann plötzlich etwas Himmelblaues mit bunten Stickereien. Der guten Zoloo, die atemlos darauf gelinst und geplinst, entfährt auf einmal ein leiser Schrei, denn sie hatte erkannt, das ist doch jenes Stück, das sie selber in monatelanger Arbeit fertiggenäht und -gestickt und dann ihrem Mann Galtai geschenkt hat, als Beutel für seine Schnupftabakflasche, die er als eine der Grundfesten bei seiner Mannwerdung zu nennen pflegt, weil sie ihm vom eigenen Vater noch in Studentenjahren geschenkt worden ist.

Nun hob die Jurtenfrau mit drei Fingern den Beutel an einem Zipfel hoch und reichte ihn ihrem Mann stumm, der jenen, ebenso stumm, dem Nachbar weiterreicht und dieser nun schaut darauf und darein und sagt: „Ja, das ist die von mir gefundene Flasche!“

Worauf er sie der Weithergereisten mit einem verschmitzten Lächeln aushändigt. Und Zoloo, endlich beruhigt, steckte den teuren Fund in ihre Handtasche und holt daraus gleichzeitig drei knisternd frische Zehntausenderscheine heraus und reicht sie mit tiefer Verbeugung dem Familienoberhaupt und spricht: „Vielen Dank für die treue Aufbewahrung unseres Familienheiligtums!“

Zoloo, das schlaue Kind, dem solche butterweichen und honigsüssen Worte über die Zunge gegangen! Indem jene Hässliches vertuschten und Schmerzliches linderten, haben sie gewiss dafür gesorgt, dass der Pfad, den sie angefangen hatte, als Schwiegertochter aus ferner Fremde in Sippe und Stamm anzubahnen, verbreitert wurde. Diese Worte haben aber auch für viel mehr gesorgt – haben Rillen gezogen, in welchen ein jeder der Beteiligten an der heiklen Geschichte nun seine eigene Deutung nach Herzenslust hegen und pflegen, ihr einen an der Schuldigkeit weit weg vorbeiführenden Ausgang geben darf! Und der Eröffnungsschlüssel für den Zauberkasten zu allerlei rührend edlen Fantasiegeschichten ist jenes vorgefallene Aufbewahren. Keiner hat etwas anderes getan, als dieses: Man hat lediglich aufbewahrt das wertvolle Eigentum, deren Besitzer einem zunächst unbekannt gewesen, und dies solange, bis jener sich gemeldet hat. Und dann hat man das sorgfältig Aufbewahrte auch abgegeben, und dies gegen die doch verdienten Dankesworte und auch jene entsprechende Belohnung, bitte schön!

Was die Schwiegertochter an Ort und Stelle gesagt und gemacht hat, passte doch zu all dem wunderbar. Und darum hat das kleine Drama einen doppelt glücklichen Ausgang gehabt: Die Schnupftabakflasche fand zu Galsan, ihrem Dauerwohnort, unbeschadet zurück, und bei all dem Hin und Her brauchte jene hässliche Tat, Anlass zu der Aufregung gegeben, nicht einmal beim Namen genannt zu werden.

Während Galsan aus jenem Albtraum erwachte und sein kleines Wunderwesen endlich wieder mit den Flächen seiner beiden Hände anfassen, auch mit seinen Lippen wieder berühren durfte, liess er erst einmal das salzige Wasser aus den Zwillingsquellen reichlich und ungehemmt sprudeln.

In manchen schlaflosen Nächten holte er es aus dem Panzerschrank zu sich ins Bett und presse es an seine Wangen und an die Herzgegend. Und da glaubte er zu wissen, warum diese Schnupftabakflasche immer wieder den Weg zu ihm zurück findet.

Sie will ihm bei seinen Schmerzen in der Einsamkeit beistehen. Und da erwacht in Galsan immer öfter der Gedanke: Vielleicht erfüllt es einen Auftrag seiner lieben Hassaa, seiner lieben Frau. Vor bald acht Jahren ist sie ihm aus dem Leben entrissen worden, und seit siebeneinhalb Jahren ist jenes beseelte Wesen bei ihm…

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Viel Glück!

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