Eine mongolische Adventsgeschichte - Teil 2 | Open Hearts for Mongolia

Eine mongolische Adventsgeschichte – Teil 2

Wir erzählen euch hier eine mongolische Adventsgeschichte. Sie ist eigentlich unglaublich, aber selbsterlebt von Galsan Tschinag. Die Geschichte handelt von einem König und seinem Sohn, hier Häuptling und Häuptlingssohn genannt, Schätzen aus Gold und Edelsteinen, feinem Wachholderrauch und einem kleinen Volk hoch im Altai.

Lesen Sie hier Teil 1 der Geschichte

Nach dem ersten Abenteuer in Europa kehrte Galsan’s Tabakflasche wieder mit ihm zurück in die Mongolei. Und was geschah in dieser Zeit in Europa mit Galsan und der Tabaksflasche? Erst durch den Verlust erkannte Galsan in der Flasche die Schönheiten und so wurde die Flasche in ihrem Wert hinaufgeedelt. Nun stand sie im Zuhause von Galsan am Steppenrand von Ulaanbaatar neben seinen anderen Tabakflaschen, war ihm lieb und teuer und strahlte eine besondere Magie aus.

Das Leben im Hause Tschinag ging seinen normalen Gang. Sippenmitglieder, Familie und andere Besucher kamen zuhauf. Auch Galsan machte diesen und jenen Besuch ausser Haus. Gegen Ende desselben Jahres musste er sich für ein paar Tage ins Krankenhaus begeben. Das verwaiste Haus lockte eine Diebesbande an, die ins Haus einbrachen. Die Räuber haben natürlich alle Wertsachen, wie jegliches Versilberte und alles was von den elektronischen Gerätschaften noch taugte, mitgenommen. Ausserdem wurde die ganze Kollektion von Schnupftabakflaschen weggerafft, was ein sehr schmerzlicher Verlust war, weil die meisten davon Geschenke oder Erbstücke von nahestehenden Menschen waren.

Am empfindlichsten traf ihn der Verlust der Schnupftabakflasche seines Vaters. Zur Erinnerung: Das ist nicht die Schnupftabaksflasche, von der die Geschichte hauptsächlich handelt. Das Erbstück war eine uralte Flasche aus fleckigem Achat, deren Verschluss mit einer widderaugengrossen, leuchtend roten Meereskoralle bestückt und von massivem Weisssilber eingefasst war. Und so hat gerade dieses, das Herzstück des Erbes aus den wenigen Erbgütern dargestellt, welche über die verschlungenen Strecken der langen Linie seiner Vorfahren bis zu Galsan hinüber gelangte.

Viele Tage nach dem Einbruch hat die Polizei das alte Gefäss aus Achat ausfindig machen können, vorerst ohne den Verschluss mit jenen hochkarätigen Kostbarkeiten. Die Flasche hatte schon immer zwei Sprünge aufzuweisen, eine jede davon so lang wie die Breite einer Hand und so tief, dass sie sich in den dunklen Grund hineinverlieren. Also müssen diese allzu sichtbaren Schäden sie in den gierenden, groben Augen eines jeden aus der Verbrecherecke des Lebens so wertlos erscheinen lassen, dass er sie bei erster Gelegenheit sozusagen gegen „Peanats“ abgesetzt hat, während der einwandfreie Verschluss weiterhin im Versteck blieb, wie ärgerlich, dennoch aber welches Glück für Galsan.

In den Augen von Galsan fällt jenen beiden Sprüngen keinerlei Gewicht eines wirklich belastenden und entwertenden Schadens zu, vielmehr verleihen sie dem sorgfältig polierten Steingut eingravierte Spuren als einem Zeugen des freien, dabei auch rauen nomadischen Lebens und des darüber gestreuten Zeitstaubs einerseits und andererseits den Beweis für den zähen Willen, allen erlittenen Wunden zum Trotz weiterhin ein bedrohtes Erbe mitdarzustellen. Selbst dann, wenn es zerbrochen in lauter Bruchstücke vor Galsan läge, würde er drinnen nach dem Geruch seines Vaters suchen, und den Duft der Höhensteppe des Altai riechen können. So liegt die verwitwete Schnupftabakflasche in seinem Bewusstsein stellvertretend für Vater, Nomaden und Heimat, mit welchen unzählige Fasern seines Geistes und seiner Seele verbunden sind.

So hatte Galsan etwas Glück im Pech. Es gelang ihm eine echte Meereskoralle von derselben Form und Grösse in einem Juwelierladen zu erstehen. Womit sich ein Weg ebnete, zum süssherben Ende der traurigen Geschichte zu einem passenden Verschluss zu kommen, damit das angeschlagene Erbstück von neuem vervollständigt werden konnte, obwohl natürlich der Verschluss nicht mehr der ursprüngliche war.

Um diese unleugbare Tatsache zumindest zu mildern, konstruierte Galsan in seinem Hirn Gebilde zur Linderung der Schmerzen in seiner Seele. Dabei sinnte und sinnte er nach, woher denn die erstandene Koralle mit unabweisbaren Spuren der Vergangenheit und immer noch wahrnehmbaren Gerüchen aus der nomadischen Welt, herstammen mochte? Und gelangte zu dem Schluss, dass darüber ebenso eine lange Kette von Gliedern vieler Generationen gespannt liegen müsste.

Der alte Juwelier erzählte, dass Korallen von dieser Güteklasse selbst in früheren Zeiten als Kleinode geschätzt worden seien, weil solche von Natur aus äußerst selten vorkämen und daher jenen sprichwörtlichen Sternen bei Tage glichen. Galsan grübelte immer wenn er die Koralle anschaute oder berührte darüber nach, wie lange sie sich nach ihrem herausragenden Sitz aus der Mitte jener unbekannten Schnupftabakflasche gesehnt haben könnte, genauso wie der entwendete Verschluss von Galsan’s Flasche seit Monaten nach seinem gewohnten Standort und Sitz auf dem Hals der Vatertabaksflasche schmachten musste.

Bestärkt im Glauben dachte Galsan, wie gut, dass es ihm gelungen ist, zwei edlen vereinsamten Hälften wieder zu einem Ganzen verholfen zu haben. Was das wohl im Einzelnen heissen will? Während die eine Flasche endlich wieder zu einer Krone gekommen ist, durfte doch die Seele derselben Krone, also die Koralle, nach lange angedauerter Verwitwung und Vereinsamung, endlich wieder in der warmen Mitte eines neuen Mutterkörpers steckten und darüber auch thronen.

Zum Grundgesetz im All gehört doch auch diese Wahrheit, dass dort, wo sich zwei Verwaiste zueinanderfinden, immer zwei Herde des Leides gelöscht sind!

Selbstverständlich war es Galsan vollbewusst, dass der neue prächtige Verschluss niemals in der Lage sein wird, den weggekommenen zu ersetzen, weil jener sich abnutzend, bereichern gedurft, unter und an den Abdrücken jener unzähligen Menschenhände, die die ganze Körperschaft aus Gestein, Koralle und Silber so behutsam abgriffen und blankschliffen, der dahinein gekrochenen Wärme und dem daran haftengebliebenen Geruch wie all den Spuren und Ausdünstungen seines zum Himmel gewordenen Vaters.  

Zu dem oben erwähnten Glück im Pech hat es am Vortag eine geheimnisvolle Vorstufe gegeben. Da die Wohnstätte des Oberhaupts von gewissenlosen Kreaturen in Menschengestalt beschädigt und entweiht worden war, haben die nächsten Mitglieder der Sippe gleich am Tag nach der Missetat, angefangen, die zurückgelassenen «schwarzen Spuren» möglichst zu vertilgen und alles, woran jene herangekommen waren, zu reinigen. Ein jeder war bestrebt, sehr bedächtig vorzugehen.

Und dabei kam heraus, dass von den neun gestohlenen Schnupftabakflaschen eine doch sofort wieder zum Vorschein kam. Und da handelte es sich wieder um jene, die schon einmal aus Diebeskrallen zurückgekommen war!

Und diesmal wurde sie in einer unbeleuchteten Ecke unter der untersten Stufe der Treppe aufgefunden. Unerklärlich zunächst, wie sie gerade dorthin gelandet war. Suchte man unbedingt nach einer Erklärung, dann könnte möglicherweise Folgendes passiert sein: Sie könnte beim Runterhasten der Diebe aus einer der Taschen oder Beutesäcke herausgerutscht, davongepurzelt und sich, nicht anders als eine Maus in Not, nach der verstecktesten Nische begeben haben.

Was für eine erschütternde Überraschung und was für eine unglaubliche Freude für Galsan und es zwickte ihn in der Nasenwurzel und die Augenränder liefen heiß an – so nah war er den Tränen!

Das war das zweite Abenteuer dieser Tabaksflasche.

Wie es weiter geht, erfahrt ihr im zweiten Teil der Geschichte am 3. Adventssonntag.

Jeder, der eine Spende in Höhe von mindestens CHF 50.00 macht oder Produkte in dieser Höhe bestellt, nimmt automatisch an unser Verlosung teil. Wir verschenken eine original mongolische Tabakflasche mit Beutel.
Das Gewinnspiel gilt vom 28. November bis zum 19. Dezember.

Beträge, die bis zum 20.12.2021 auf dem OHfM Konto verbucht werden, nehmen an der Verlosung teil.

Viel Glück!

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