Kulturzentrum und Kloster RASCHDECHINLEN KHIID in Tsengel | Open Hearts for Mongolia

Kulturzentrum und Kloster RASCHDECHINLEN KHIID in Tsengel

OHFM unterstützt seit Jahren Projekte, welche die Naturverbundenheit und die Kultur der mongolischen Bevölkerung erhalten und fördern. In diesem Blog wollen wir den Zusammenhang der schamanischen Lebenskultur mit ihrer buddhistischen Einfärbung näher betrachten. Das tuwinische Urvolk, welches wir nun seit fast 15 Jahren begleiten, schafft diesen spirituellen Brückenschlag spielerisch. Wir aus westlicher Sicht tun uns oft schwer mit „sowohl als auch“ Dingen und versuchen mit Definitionen oder Klassifizierungen schwer Fassbares einzuordnen. Wir nehmen Sie, liebe LeserInnen, in diesem Newsletter mit auf eine kurze Reise, auf der wir die Lebenskultur der Tuwa aus zwei Perspektiven betrachten wollen. In einem ersten Teil erfahren Sie mehr über die schamanischen Traditionen, welche von den Nomaden sowohl weitab von jeglicher Zivilisation in der Steppe, aber auch in den Städten gepflegt werden. Im zweiten Teil gehen wir auf die Hintergründe des Klosterprojekts in Tsengel ein, und zeigen die aktuellen Herausforderungen für dieses spirituelle Vorhaben auf.

Schamanische Traditionen
Im Gegensatz zu uns „Westlern“, die wir ständig „alles“ zerlegen, einordnen, in eine Schublade pressen und kategorisieren wollen, haben die Tuwiner eine völlig andere Lebens- und Denkweise. Für sie ist alles im Universum ein grosses, rundes Ganzes. Alles ist belebt, beseelt und begeistet, mit Leben, mit Körper und Geist versehen. Die Nomaden sehen immer alle Dinge als Einheit, es gibt keine Trennung. Sie werden quasi in das Schamanentum hineingeboren. An der Wiege und am Sarg steht der Schamane. Wenn jemand einen Freudentag erlebt oder wenn jemand einen Trauertag erlebt, immer ist ein Schamane in der Nähe. Der Hintergrund der ganzen Gedankenwelt ist die tiefe Verbundenheit mit allem, was ist. Ein Stein ist nicht ein toter Gegenstand, sondern lebt und deshalb wird ihm dieselbe Achtung geschenkt wie den anderen Lebewesen. Wenn die Nomaden beten, dann strecken sie ihre Hände in den Himmel, so ist auch das Herz offen. Der blaue Himmel steht als Synonym für „Gott“, sie stehen unter dem Himmel und gleichzeitig fühlen sie sich als Teil des Himmels. So gehören auch Trauer, Unglück und schwere Zeiten zum Leben, genau wie Freude und Glück. Sie sind schicksalergeben und dennoch kämpferisch. Die Natur steht immer an erster Stelle, danach leben und handeln die Nomaden. So erklärt Galsan Tschinag das Leben und Handeln seines Volkes der Tuwiner, dessen Führer er ist. So sollte auch jeder Tuwiner einmal im Jahr zu einem Ovo gehen, sich vor den Ahnengeistern verneigen und ein Dankgebet sprechen. Einen Ovo betrachten die Nomaden als einen heiligen Ort, an dem die Geister leben. Erfahren Sie hier mehr über einen Ovo und die rituellen Feiern.

Kulturzentrum und Kloster RASCHDECHINLEN KHIID
Tsengel ist mit seinen rund 2000 Einwohnern der Drehpunkt der tuwinischen Nomaden. Ihre Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterlager liegen im Umkreis von einer Stunde bis zu einer Halbtagesfahrt vom Zentrum entfernt. Die Nomadenkinder gehen in Tsengel ins Internat und ihre Familien haben im Ort Zugang zu ärztlicher Versorgung und zu lokalen Märkten, um ihren Alltagsbedarf zu decken.

Das geplante Kulturzentrum mit dem Klosterneubau liegt mitten in Tsengel. Man sieht dem alten Kloster bei näherer Betrachtung nicht an, dass dort vor über 90 Jahren bis zu 30 Mönche und 30 Lehrlinge gelebt haben. Noch viel weniger sieht man, dass der tibetische Buddhismus zusammen mit der Naturreligion bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts die vorherrschende Religion der Mongolei war. Erst in den 90er Jahren wurden die baulichen Überreste der Anlage durch eine Kloster NGO gesichert. Vor rund 5 Jahren hat die GTS eine Schutzmauer um das Areal bauen lassen und mitgeholfen, dass der Besitz des Anwesens gesichert werden konnte. Es benötigte mehrere Anläufe bis im Jahr 2021 die Bauarbeiten für eine neue Anlage in Angriff genommen wurden. Die Absicht dahinter: Das alte Klostergebäude zu einem Kulturzentrum umzugestalten und wenige Meter daneben ein neues und schlichtes Kloster zu bauen.

Uns liegt es am Herzen, nicht nur ein Bauprojekt zu begleiten, sondern auch die Hintergründe zu beleuchten und mit Ihnen zu diskutieren. Lohnt es sich ein Wiederaufbau, inmitten einer kasachischen Mehrheit, die ein derartiges Vorhaben argwöhnisch beobachtet? Macht ein solches Vorhaben Sinn, wenn die Moderne die Menschen aus der Kargheit in die Städte lockt? Sind Klosteranlagen in der heutigen Zeit noch glaubwürdige Botschafter von traditionellen Werten?

Die eingewanderte Dominanz und das tuwinische Urvolk
Die Tuwiner bevölkern seit Urzeiten die sieben Provinzen der Westmongolei, also den Altai. Vor mehr als hundert Jahren kamen versprengte kasachische Heerestruppen, die weder Kasachstan noch China, oder Russland aufnehmen wollte. Die Mongolen gaben den Flüchtlingen ein Zuhause und sie wurden sesshaft. Innerhalb von 3 – 4 Generation wuchs die kasachische Bevölkerung durch ihren Kinderreichtum so rasch, so dass sie heute mit rund 90% eine erdrückende Mehrheit bilden.

Ihre Lebenshaltung ist geprägt von Status und Erfolg. Um das zu erreichen, scheuen sie sich weder vor Aggressionen noch vor Rivalitäten. Das Areal des Klosters beispielsweise, wurde als Abfallhalde missbraucht. Nur durch Interventionen der Galsan Tschinag Stiftung wurde diesem Gebaren Einhalt geboten. Auch die Umzäunung des auf einer Hochebene gelegenen Tuwa-Friedhofs wurde mutmasslich durch kasachische Bewohner entfernt und zweckentfremdet. Konflikte zwischen tuwinischen und kasachischen Kindern waren bis vor kurzem in der Schule an der Tagesordnung. Weil die kasachische Bevölkerung auch alle wichtigen Ämter in der regionalen Behörde besetzt, ist es schwierig, die Interessen der Tuwa, einer ethnischen Minderheit, durchzusetzen.

Die tuwinische Bevölkerung ihrerseits geht von einem Lebensprinzip aus, dass besagt, dass die Natur bei respektvollem Umgang für alle genug Ressourcen bereithält. Das Land, auf dem sie ihre Viehzucht betreiben, betrachten sie demzufolge auch nicht als ihren persönlichen Besitz, sondern als Leihgabe der Natur für ihre Landwirtschaft.

In den letzten Jahren ist der Wunsch entstanden, dass die Tuwiner ihren eigenen Begegnungsort erhalten und ihre Kultur sichtbar wird. Sie haben erkannt, dass wenn sie sich nicht für ihre eigene Werte einsetzen, nicht nur diese, sondern ihre ganze Lebensweise in ihren Vorstellungen versickert.

Das Kulturzentrum wird darum eine Begegnungsstätte, welche die Geschichte des tuwinischen Volkes darstellen soll. Bisher existiert kein solcher Ort in der ganzen Mongolei. Nun soll mitten in Tsengel, einem kasachisch dominierten Dorf, eine jahrhundertealte buddhistische Stätte wiederbelebt werden.

Flucht in die Moderne und die Besinnung auf Bewährtes
Den Reiz der Grosstadt hat rund 1.5 Mio. von insgesamt 3.4 Mio Einwohnern dazu bewogen, das einfache Leben in der Jurte mit einer durchschnittlich 50m2 grossen Wohnung in Ulanbaataar einzutauschen. Viele Nomaden leben auch in den Randbezirken der Stadt, den Jurtenvierteln, in grosser Armut. Auch junge Tuwiner, die für ihr Studium in die Stadt ziehen, erhoffen sich nach ihrem Abschluss eine bessere Zukunft. Die Zukunft macht sich umgekehrt auch im Altai, in bisher unberührter Natur, bemerkbar. Wo bis vor zwei Jahren noch von Hand gewaschen wurde, steht heute eine batteriebetriebene Waschmaschine. In der Jurte steht auf gleicher Höhe zum Altar ein Flatscreen und das Handy übernimmt bei genügend Empfang die Aufgaben des Pferdes.

Die Tuwiner erkennen die Veränderungen, auch wenn ihnen die Natur im Alltag viel abverlangt. Das Klima wird immer unvorhersehbarer. Ihre Kinder suchen neue Lebensperspektiven, weitab von der elterlichen Jurte. Neue Technologien erleichtern das Leben auf dem Land. Das gelebte tuwinische Lebensprinzip scheint zu erodieren.

Nicht nur die Abwanderer wollen neue Zukunftsaussichten, ohne die Verbindung zu ihrer Kultur aufzugeben. Es sind auch die Zurückgebliebenen, die für ihre bisherige Lebensweise eine geeignete Form finden wollen. Daher soll ein Begegnungsort entstehen, der die Menschen verbindet, die Halt, Ruhe und Sicherheit suchen.

Abkehr vom Glauben und die Wiederentdeckung von Traditionen
Klosteranlagen und Kirchen wirken oft majestätisch, erhaben und stehen an gut sichtbaren Orten. Über Jahrhunderte ging von diesen spirituellen Zentren eine Anziehungskraft aus, die aber in den letzten Jahren ihre Wirkung verloren hat. Wir haben erkannt, dass es diese örtliche und persönliche Bindung nicht immer braucht und unsere Bedürfnisse auch mit anderen Angeboten befriedigt werden können. Diese Entwicklung unterstützt u.a. die Tatsache, dass es in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu Machtmissbrauch in Glaubensgemeinschaften geführt hat. Das wird in der heutigen Zeit nicht mehr toleriert.

Das Begegnungszentrum mit dem neuen Kloster ist für westliche Verhältnisse spartanisch gestaltet, und liegt inmitten eines lebhaften Ortes. Die geplante Anlage ist mit zwei Gebäuden und begrünter Umgebung lediglich ein religiöser Farbtupfer in der sonst muslimisch dominierten Umgebung.

Das aktuelle Projekt
Mit dem Projekt RASCHDECHINLEN KHIID können wir nicht versprechen, dass in den nächsten Jahrzehnten die mongolisch-buddhistische und schamanische Lebensweise in ihrer ursprünglichen Form weiterbesteht. Wir können aber versichern, dass durch dieses Projekt die inklusive Haltung nicht vergessen geht. Im Kulturzentrum wird ein Archiv eingerichtet, welches die tuwinische Lebenskultur für die Nachwelt bewahrt. Das Kloster soll in seiner Schlichtheit die mongolisch-buddhistischen Lebensformen vorleben.

Daher haben wir gemeinsam mit der GTS und der RASCHDECHINLEN KHIID NGO den Wiederaufbau vorangetrieben. In den nächsten Wochen werden die letzten Arbeiten vor Wintereinbruch abgeschlossen. Das Projekt wird bis im April 2023 ruhen. Die Monate dazwischen bleiben uns, dieses einmalige Vorhaben für die Bauphase Mai 2023 – September 2023 weiter zu planen.


 

 

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